Wenn die Vernunft die Augen schließt, 2016
Johannes Kriesche: „Ich habe vor einiger Zeit damit begonnen die Ereignisse der Anschläge in Paris bildnerisch zu bearbeiten, weil sie mich persönlich tief betroffen machten. Es geht hierbei auch um einen Anschlag auf die Kunst und Kultur, auf die Kraft des Lebens und darum wie blind und verblendet Menschen sein können oder werden können. Als ich das Titel-Bild mit dem verletzten jungen Mann auf einer Warschauer Zeitung am Tag nach dem Anschlag sah, gefror mir buchstäblich das Blut in den Adern. Ich musste mich erstmal hinsetzen und luftholen. Es war dabei auch ein tiefreligiöses Gefühl, welches der Fotograf dort eingefangen hatte. Es erinnerte mich an Bilder der Kreuzabnahme… mir lies dies keine Ruhe mehr. Ich musste damit was machen. So wurde aus dem Titelbild das Erstwerk der neuen Reihe."
Die Serie "WENN DIE VERNUNFT DIE AUGEN SCHLIEßT" ist die künstlerische Umsetzung der Fassungslosigkeit, Trauer und Bestürzung, um eine Tat von jungen Menschen auf junge Menschen, die gerade dabei waren Musik zu erleben.
Von Leander Rubrecht und Johannes Kriesche, 2016
Im Schlaf des Lichts, 2012
von Dr. Christopher Naumann
Liest oder hört man den Titel zum ersten Mal, ist man etwas verwundert; hier soll etwas schlafen, was naturwissenschaftlich betrachtet, gar nicht schlafen kann: das Licht. Die griechische oder auch römische Göttermythologie zur Hilfe zu ziehen und dem Licht eine irgendwie geartete Per-sonifikation verleihen, also entweder Helios oder Sol, könnte fürs Erste vielleicht den Katalogtitel verständlicher bzw. begreifbarer machen. Schaut man sich aber die Motive von Johannes Kriesche an, so bringt eine Personifikation nicht viel weiteren Erkenntnisgewinn. Betrachtet man aber das Licht in Hinsicht auf seine Quellen, seine Erzeugung, so kann eine Einteilung erfolgen in natürliches Licht, also Sonnenlicht, und künstliches Licht, also energetisch erzeugtes Licht. In dieser Einteilung liegt der Ansatzpunkt der Arbeiten von Johannes Kriesche. Machen wir uns bewusst, wann welches Licht zum Einsatz kommt folgen wir der Spur des Künstlers.
Im Verlauf der letzten zwei Jahrhunderte ist es uns Menschen gelungen das natürliche Licht und den durch ihn vorgeschriebenen Tagesrhythmus durch technische Erfindungen immer weiter zu verändern. Die Verwendung von künstlichem Licht zur Erhellung/Vertreibung der Nacht, und die Nacht ohne künstliches Licht ist so der Schlaf des Lichts, führte dazu, dass heute nicht mehr der Sonnenuntergang die Arbeits- und Lebenszeit innerhalb eines Tageszyklus beendet, sondern Arbeits- und Lebenszeit vom Menschen selbst gesetzt werden. In einer Welt der Superlative, des immer Besseren und des immer Schnelleren, will Johannes Kriesche mit seinen Kunstwerken bewusst einen Gegenpol setzen. Die physikalische Geschwindigkeit des Lichts wird in seinen Arbeiten, wenn auch nur zu einem ganz kleinen Bruchteil abgebremst. Das Licht verfängt sich in den Kunstwerken, kommt scheinbar zur Ruhe und lässt dabei die einzelnen Motive aufleben.
Nicht anders ergeht es uns Betrachtern. Von der medialen Bilderflut abgestumpft, sind wir es gewohnt eine rasche Selektion des für uns Interessanten zu vollziehen und das Uninteressante auszuschließen, auszublenden. Meist genügt ein schneller Blick aus dem Augenwinkeln heraus schon ist unsere Entscheidung für Pro oder Contra getroffen. Auch die Werke von Johannes Kriesche sind auf diesen einzigen Augenblick angelegt. Doch bei ihnen geschieht etwas anderes mit unseren auf rasche Selektion ausgerichteten Sehgewohnheiten. Das Diffuse, das bewusst Unscharfe an den Arbeiten zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich. Neugierig geworden widmen wir uns den Arbeiten, verlangsamen unser Tempo, unseren Schritt und schauen genauer hin. Wir versuchen zu ergründen was in den Bildern dargestellt wird und auch warum diese so diffus sind. Was diese Arbeiten so besonders macht ist nicht nur die Auswahl der Bildmotive, sondern vielmehr auch die Materialität. Eine dicke Schicht aus gefärbtem Paraffin sorgt auf der einen Seite für den gewissen Grad an Unschärfe, auf der anderen Seite verleitet sie den Betrachter zum Anfassen.
Die Gruppe der Lichttempel bildet Tankstellen bei Nacht ab. Johannes Kriesche geht es in dieser Werkgruppe sowohl um die Schnelligkeit, das Tempo in unserer heutigen Gesellschaft, als auch um die Anmahnung des überschwänglichen Konsums. Die Abhängigkeit unserer Wirtschaft vom Rohstoff Öl und dem darauf basierenden Wachstum und Wohlstand wird in den Arbeiten durch die Abbildung von Tankstellen symbolisiert. Gleich einem neuen (Kult-) Tempel werden die, nachts hell erleuchteten, Tankstellen von Johannes Kriesche angesehen bzw. interpretiert. Die farbige Paraffinschicht auf dem Bildmotiv nimmt dabei Bezug auf unser Konsumverhalten, denn auch sie ist Produkt dessen und wird in den Arbeiten von Johannes Kriesche von einem technischen zu einem bildnerischen Kunstprodukt umgewandelt.
Die Lustengel spitzen die Thematik des immerwährenden Konsums noch zu. Abgebildet sind hier jugendliche Mädchen, die in der Kombination ihres Alters mit dem ausgewöhnlichen Kleidungsstil, als Symbol des hedonistischen Lebensstils unserer Zeit gedeutet werden können.
Schnelligkeit und der Zwang des immerwährenden Wandels führen in unserer Zeit aber auch dazu, dass der Mensch sich trotz aller Arbeit immer wieder persönliche Freiräume und Ruhezeiten sucht. Meist sind es nur kurze Sequenzen im Park oder anderswo in diesen dem Verlangen des Körpers nach Ruhe und Erholung nachgegeben und zur Beruhigung des schlechten Gewissens aber der Laptop noch auf dem Schoß gehalten wird. Eine solche Szene inspirierte Johannes Kriesche zu seiner neusten Arbeit.
Cutting Dreams zeigt u.a. eine überlebensgroße liegende Figur mit einem Laptop auf dem Rücken. Sie kann als ein Indiz dafür gedeutet werden, dass unsere Gesellschaft im ständigen Sog der Erreichbarkeit und der Mitteilungen angekommen ist. Entspannt wird nicht mehr nur mit Musik, einem Buch, oder einem Skizzenblock - nein, für viele heißt dieser Moment auch wieder Berieselung aus der digitalen Welt. Anders als bei den vorangegangenen Werkgruppen kommt hier kein Paraffin zum Einsatz und dennoch bleibt das Licht weiter die Konstante im Schaffen von Johannes Kriesche.
Während Kriesche das Licht, sei es natürlich oder künstlich, in seinen anderen Arbeiten einfängt, er also auf eine Lichtquellen angewiesen ist, erschafft er hier in der Verwendung von Lichtschläuchen seine eigenen Lichtquellen, die zugleich das Kunstwerk sind.
Der Schlaf des Lichts findet in den Nachtstunden Platz. Kriesches Kunst befragt, was wird, wenn wir das Licht nicht auch schlafen lassen. Und tatsächlich knüpft er mit dieser Fragestellung an eine traditionelle, künstlerische, humanistische Position an: Den Menschen um den Schlaf des Lichtes zu berauben, ist eines der Monster, die der Schlaf der Vernunft geboren hat.
Lichttempel, 2009
von Dr. Peter Joch, Direktor der Kunsthalle Darmstadt
Auf nächtlichen Autofahrten sind Tankstellen unübersehbare Landmarken, unwiderstehliche Hingucker, die den Blick wie magisch anziehen. Betritt man diese gleißenden Glashäuser, überschütten sie einen mit hartem Licht aus flimmernden Neonröhren oder scharf fokussierenden Halogenstrahlern. Sie lassen jeden Besucher blaß aussehen, sind für das Auge nur schwer zu ertragen. In seinen Notturni mit Tankstellen nimmt Johannes Kriesche diese wer--be-wirksame Reizüberflutung programmatisch zurück, zeigt abgedämpfte Bilder von Bildern: Er malt nach Fotografien und überdeckt die Gemälde mit einer zentimeterdicken Schicht Paraffin. Es entsteht ein abgeschattetes Nachtreich, das sich der Erfassung entzieht. Aus harten Kontrasten werden sfumatisch verschliffene Nuancen, die wieder einen ‚unverblendeten‘ Blick gestatten. Die Kunst erobert sich so das Reich des freien Sehens zurück.
Die aufdringlich inszenierten Lichtgehäuse verwandeln sich in auratisch schimmernde, uneindeutige Gebilde, die zuzeiten an heilige Schreine oder schwebende Raumschiffe denken lassen. So nutzt Johannes Kriesche die profanen „Tempel“ der Neuzeit, um die Nacht als Zeit der Rätsel und Geheimnisse erscheinen zu lassen, sie ohne jedes Pathos wieder zu romantisieren. Durch die Paraffin-Schicht markiert er wortwörtlich eine kreative Distanz zur grellen Konsumwelt. Gleichzeitig reflektiert er mit der Sichtbarriere aus halbtransparentem Material die subjektive, jeder Wahrnehmung vorgelagerte Blende, die Künstler wie Betrachter gleichermaßen bestimmt. Mit seinen Nachtstücken antwortet Johannes Kriesche auch den berühmten Ikonen der Alltäglichkeit des amerikanischen Künstlers Edward Hopper. Hopper übersteigert die blendende Architektur der Metropolen, inszeniert Bars, Cafés und Tankstellen als überbelichtete Vitrinen, in denen Menschen ihre Einsamkeit und Bezugslosigkeit zur Schau stellen. Kriesche wiederum widersetzt sich mit seinem Reich der Zwischentöne symbolträchtig dem ‚Lichtzwang‘ der Städte.
Neben den Tankstellen verarbeitet Johannes Kriesche in seinen Paraffin-Bildern weitere Motive zum Thema Automobil, präsentiert zum Beispiel Autohäuser, „Car-Wash“-Paläste oder - in „Lichttempel 31 - Unterm Rad“ das neugestaltete BMW-Museum in München. Auch hier entzieht sich die Architektur dem forschenden Blick und wird ihrer Funktionstüchtigkeit enthoben. Bei diesem Transfer spielt das Paraffin eine symbolische Rolle. Das Material wird aus Öl, aus sogenannten Schmierölschnitten, gewonnen. Aus dem Öl als Basis des Treibstoffs, den die gleißenden Tankstellen verkaufen und der in wörtlichem Sinne Bewegungsmoment des Alltags ist, wird ein bildkünstlerisches Verfahren der Verunklärung und der kognitiven Verlangsamung. Genauso wie die gezeigte Architektur wird so auch das Öl seiner alltäglichen Funktion enthoben und erhält eine neue Bedeutung jenseits aller üblichen Zwecke.
In den Paraffin-Bildern zitiert Johannes Kriesche nicht nur reale Architektur, sondern auch künstlerische oder technische Utopien. So verwendet er in der dreiteiligen Arbeit „Unterm Rad“ die Fotografie einer Installation des Künstlers Olafur Eliasson mit einem vereisten Sportwagen, „Your mobile expectations: BMW H2R project“. Im benachbarten Bild zeigt er den visionären Schweizer Erfinder M. Gerder mit seinem berühmten motorisierten Einrad in den frühen 1930er Jahren auf großer Fahrt. Die Kunst wird bei der Darstellung des skur-rilen Gefährts in wörtlichem Sinne zum Transportmittel von Utopien, sie ist in der Lage - um mit der Konstruktion Gerbers zu sprechen - das „Rad neu zu erfinden“. Johannes Kriesche erweitert sein Spiel mit Abbildungsverfahren um eine zu-sätzliche Ebene, wenn er in die vorgelager-te Paraffinschicht Figuren einritzt. Vor den abgeblendeten Kulissen schweben schemenartige Akrobaten, die „losgelöst“ tanzen und die Bilder als Symbole für Mensch erscheinen lassen. Kriesche bemerkt dazu lakonisch: „Wir selbst bestehen ja auch aus ganz vielen Schichten“. Die übereinan der gelagerten Bildebenen sind so ein Symbol für die Vielschichtigkeit des Menschen, der sich auf der Bühne „Welt“ tänzerisch der Festlegung von außen zu entziehen sucht.
Ein zentrales Leitmotiv in Kriesches Werk ist „Transit“: Mit den Tankstellen zeigt Kriesche Orte, die am Weg liegen, Durchgangsstationen. Gleichzeitig fordern seine Bildern den Betrachter zu einem Transit des Blicks auf, denn sie verlangen ein Durchdringen der milchigen Schicht vor dem Gemälde. Einen Transit im übertragenen Sinne schließlich inszeniert Johannes Kriesche bei der Darstellung von Geschlechterrollen, indem er glamouröse Transvestiten auf die Bildbühne bittet. Diese ätherischen missing links zwischen männlich und weiblich erscheinen wie flüchtige, halbleere Schatten, fast wie Piktogramme. Zeigen die Paraffin-Bilder eine Abdämpfung durch eine vorlagerte Blende, reduziert bei den Transvestiten die Schemati-sierung die unmittelbare sinnliche Stimulanz. Der Betrachter wiederum muß eine Übersetzungsleistung, einen Transfer seiner Wahrnehmung vollziehen, um die fragmentarischen Gestalten in seiner Phantasie vervollständigen zu können. Eine Reduktion des Sinnlichen wendet Johannes Kriesche auch auf seine zuzeiten pornographischen „Lustengel“ an. Die ‚blendende‘, sexualisierte Präsentation von Körpern wird wie die Architektur in den Nachtstücken mittels aufgegossenen Paraffins ‚heruntergeregelt‘. Der tagtäglichen Sexualisierung der Medienwelt wird mit der Paraffin-Schicht eine etwas andere ‚Mattscheibe‘ entgegengesetzt. Die Drag-Queens als „Große Lustengel“, die sich der voyeuristischen Vereinnahmung dank des bildbestimmenden Schleiers entziehen, ironisieren auch en passant die traditionelle Männerwelt. So antwortet eine mit opulentem Kopfschmuck herausge--putzte „Shemale“ einem Denkmal Kaiser Wilhelms II. mit dem berühmten Adler-Helm, der stolz gen Himmel strebt. Die Trans-Gender-Figuren erzeugen so in vielfältiger Hinsicht einen Blickwechsel, einen Transfer der Bedeutungen.
In den Nachtstücken spielt das Licht die kompositorische und inhaltliche Hauptrolle. Der Serie „WunderdichLicht“ schließlich verleiht es den Titel und wird hier in mannigfachen Variationen durchgespielt: Überstrahlt werden die Bildbühnen jeweils von bizarren, altertümlichen Deckenlampen. Den „wunderlichen“ Beleuchtungskörpern antworten befremdliche, teilweise absurde Szenen mit vielsagenden Figuren aus dem Ensemble des Johannes Kriesche. Es erscheinen der erfindungsreiche Pilot des motorisierten Einrads, Transvestiten als „Diven“, die von den Paraffin-Bildern bekannten Akrobaten, Requisiten und Detailansichten aus dem Atelier, schließlich rätselhafte Tiere. Die Bilder zeigen eine surreale Ineinanderblendung von Raumsystemen, mischen „innen“ und „außen“. In diesen perspektivischen Labyrinthen präsentiert Kriesche ein menschliches Panoptikum, das so erstaunlich und vielfältig ist, so widersprüchlich und skurril, daß sogar das angeblich neutrale, immaterielle Licht aus der ‚Fassung‘ zu bringen ist. In diesem Sinne läßt sich der Titel vielleicht als Appell auslegen: „Wunder´ dich, Licht“.
Johannes Kriesches Bilder deuten Lebensräume neu, setzen der grellen Medien- und Konsumwelt Zwischentöne und Leerstellen entgegen. Sie überwinden spielerisch Gegensätze wie innen und außen, hell und dunkel, männlich und weiblich. So unterlaufen sie allzu bewährte Denkgewohnheiten und zeigen die Welt - um mit dem Motiv des Werks schlechthin zu sprechen - stets in einem neuen Licht.