Für eine Ausstellung ist die Berliner Künstlerin Sabine Dehnel in ihre einstige Heimat Wiesbaden zurückgekehrt
Von Katinka Fischer
WIESBADEN. Gemustert müssen sie sein. Am besten im Flower-Power-Stil der siebziger Jahre oder in einem knalligen Mix, wie er für die achtziger Jahre typisch war. So etwas gibt es nicht in
Neu. Deswegen hat es Sabine Dehnel auf alte Badeanzüge abgesehen. Bei DDR-Ware, die etwa über die Verkaufsportale im Internet tatsächlich noch angeboten wird, greift sie besonders gern
zu. Der stattliche Fundus an Vintage-Schwimmbekleidung, den die in Berlin beheimatete Künstlerin auf diese Weise zusammengetragen hat, ist freilich nicht nur einer ungewöhnlichen
Sammelleidenschaft geschuldet. Die Textilien dienen ihr als Arbeitsmaterial.
Zu zentralen Motiven wurden sie etwa in Dehnels jüngster Serie von Fotografien, die derzeit in der Wiesbadener Galerie Rubrecht Contemporary ausgestellt sind. Sie zeigen mit floralen
Mustern überzogene Frauenrücken vor schwarzem Hintergrund. Die Badeanzüge der Modelle bedecken naturgemäß nur einen Teil von deren Körper. Die Haut, die tiefe Ausschnitte und schmale
Träger freilassen, hat die Künstlerin bemalt und dabei das Design der Textilien fortgesetzt. Die weiblichen Kurven und die schmalen Hälse, die vor dem Dunkel des Raumes umso stärker ins
Auge fallen, erinnern an die für jene Zeit typischen Vasenformen, aus der auch die Badeanzüge stammen. Der Ausstellungstitel „LebensVasen“ ist damit aber noch nicht vollständig erklärt.
Im Sinn eines – mit Inhalt befüllbaren – Gefäßes wird der Begriff ebenfalls zur Körper-Metapher.
Die vielschichtigen Bilder sind im Sommer 2018 während eines Stipendiums auf der Nordseeinsel Föhr entstanden. Dehnels Interesse an Mustern, das sich darin artikuliert, berührt auch das
für ihr Werk nicht weniger zentrale Thema Erinnerung. Denn ihr geht es um neuronale Muster, die das menschliche Gehirn in Erinnerung übersetzt. Schwimmen zum Beispiel lernt man durch
Wiederholung eines immer gleichen Bewegungsablaufs. So entsteht ein direkter inhaltlicher Zusammenhang mit den Badeanzügen, deren aus der Mode gekommene Musterung damit mehr ist als
bloßes Dekor, sondern Erinnerung an eine bestimmte Lebensphase, ein in die Gegenwart hallendes Echo eines fernen Gefühls, einer gewesenen Atmosphäre oder Stimmung, das konkrete Bilder
überlagert. Sabine Dehnel wurde 1971 in Ludwigshafen geboren und studierte erst in Mainz und später in Los Angeles. In ihrer früheren Heimatstadt Wiesbaden machte sie mit figürlicher,
aber ausschnitthaft verfremdeter Malerei und Fotografie unter anderem in der unkonventionellen kleinen, inzwischen nicht mehr existenten Galerie kunstadapter, im Nassauischen Kunstverein
und im Museum früh auf sich aufmerksam. Seit 2005 ist sie in Berlin zu Hause. In einer ehemaligen Kaserne am Südkreuz hat sie einen 330 Quadratmeter großen Lebens- und Arbeitsraum
gefunden, den sie sich mit ihrem Mann, einem Produktdesigner, und ihren achtjährigen Zwillingen teilt und jetzt für einen Videobesuch aus dem Rhein-Main-Gebiet öffnet.
Dabei wird offenbar, dass Dehnel neben Badeanzügen auch Amulette sammelt, die in stattlicher Zahl einen großen Teil einer Atelierwand füllen. Ihnen begegnet man in ihren Bildern ebenfalls
wieder: Die „Mona“ betitelte, seit 2010 um jährlich ein Gemälde wachsende Serie zeigt jeweils einen ganz und gar unsexistischen Blick in ein weibliches Dekolleté. Darauf ein Amulett, das
die Miniatur einer historischen Frauenfigur zeigt – sei es eine Ikone wie Romy Schneider oder eine – ohne Grund – weniger berühmte Position wie die Bauhaus-Künstlerin Marianne Brandt.
Indes sieht man von Dehnels eigentlichen Protagonistinnen auch in anderen ihrer Bilderserien selten mehr als Rumpf und Beine. Bisweilen dienen – Stichwort Erinnerung – Fotos aus dem Album
der Eltern als Vorlage. Dabei verhindert die Anonymität der Figuren, dass sie als Familienporträts missverstanden werden könnten. Zumal es sich bei den Motiven oft um collagierte Momente
handelt und etwa der Rock, den die Mutter einst in der Pfälzer Heimat trug, nun vor der Küste von Malibu schwingt.
Wie bei den Badeanzügen ist Dehnel auch bei den Amuletten und alten Urlaubsfotos nicht allein darauf bedacht, abgegriffenen Gegenständen zu neuer Bedeutung zu verhelfen. Das Gleiche gilt
im Übrigen für die gebrauchten Nylonstrümpfe, mit denen sie in der Manier einer ebenfalls in den siebziger Jahren beliebten Basteltechnik Drahtschlaufen überzieht und die dabei
entstehenden schuppenartigen Gebilde zu Skulpturen formt. Auf diese Weise ist etwa ein schwarzer Schwan entstanden, der nun zu den Exponaten in der Wiesbadener Galerieausstellung gehört.
Die aus dem Alltag in die Kunst überführten Gegenstände werden vielmehr zu abstrakten Porträts ihrer einstigen Trägerinnen.
Die Ausstellung „LebensVasen“ in der Wiesbadener Galerie Rubrecht Contemporary, Büdingenstraße 4–6, ist bis zum 26. März, mittwochs bis freitags, 14 bis
18 Uhr geöffnet.