Über Christiane Erdmanns Arbeit

 

Von Harald Lubasch / Stefanie Blumenbecker

 

Die Kettensäge hat Einzug in die Bildhauerei gehalten. Sie ist ein äußerst effektives Werkzeug, das ein schnelles und beinahe spontanes Arbeiten erlaubt. In der Regel setzen Bildhauer die Kettensäge ein, um die Grobform aus dem Werkstoff Holz zu schälen. Anders bei Christiane Erdmann: Die Spur des als brachial missverstandenen Werkzeugs wird (fast) nie zur Gänze durch feinere Arbeitsmethoden getilgt. Die verschiedenen Stufen des Bearbeitungsprozesses sind Teil des fertigen Werks und werden als Stilmittel kultiviert. Die Schnittspur der Sägekette kann da wie ein Zeichenstift benutzt worden sein, der durch die endgültige farbige Fassung der Skulptur durchscheint. Und – Christiane Erdmann arbeitet aus dem gewachsenen Stamm heraus. Risse oder Drehungen, die beim Trocknen ihres Materials auftreten können, sind zwar nicht beabsichtigt aber als lebendige Zutat –Holz arbeitet – akzeptiert.

Christiane Erdmann arbeitet figürlich. Es sind Menschenbilder und Tierdarstellungen, wenig abstrahiert oder annähernd erscheinungsgemäß. Als Vollfigur, Torso oder Büste. In der klassischen Tradition der Bildhauerei war der Mensch immer Maß und dominantes Thema gewesen. Bei Christiane Erdmann gesellen sich szenische Darstellungen und eine ganze Menagerie von Tieren jedweder Art dazu.

Bei den Menschendarstellungen überwiegen die der Mädchen oder jungen Frauen. Selbstbewusst inszenieren sie sich, provozieren, posen. Eine Spur Unsicherheit, Zweifel, Selbstzweifel bleibt mitunter. Dann wieder ganz natürlich. Der Erdmannsche Jung-Frauen-Typ hat vor Jahren als eine neue Mädchengeneration medial Furore gemacht und ein eigenes Etikett „Girly“ verpasst bekommen.

Alle menschlichen Figuren erzählen dem Betrachter etwas über sich, oder bieten ihm etwas an.

Szenisch setzt sie eine Inszenierung von Robert Wilson um. Das Berliner Ensemble spielte das Stück „Shakespeares Sonette“. Sie friert Gesten, Mimik und Kostüme, die sie für sich als typisch und prägnant herausgezogen hat, ein und übersetzt diese auf meisterhafte Weise in ihre Sprache, das Material Holz

Tiere entstehen oft in ganzen Rudeln, Herden, Schwärmen oder Rotten. Erdmann ist eine genaue Beobachterin und große Freundin der Fauna. Keines der Tiere gleicht dem anderen. Es sind alles Individuen, die doch auch miteinander kommunizieren. Alle Arbeiten entstehen wie gesagt, aus einem Stück Holz und so wirkt die Skulptur auf ewig verbunden mit dem Stamm, aus dem sie befreit wurde. Der Stamm bleibt das „Erdende“.

Mit den Stillleben hat Christiane Erdmann nun ein ganz neues Genre eröffnet. Sie widmet sich einem Thema, das bis dahin der klassischen Malerei vorbehalten war. Als Bildhauerin erhebt sie dieses nun in die dritte Dimension. Obst, Gemüse, erlegte Fasane, Weinglas, Kerze und andere typische Utensilien wachsen aus dem Stamm. Mit den „nonfoodstills“ greift sie auch in die „Vanitas-Kiste“ und es tauchen Totenschädel, Stundenglas, Schlüssel, Bücher und anderes auf.

Und dann geht sie noch in die Erweiterung des klassischen Stillebens – dem Arrangement aus unbelebten Dingen – und erfindet die „Taschen“. Eine Handtasche ist der Ausdruck individueller Persönlichkeit und da Erdmann schamlos die Inhalte der Taschen auf den Block „entleert“, geben diese natürlich auch Rückschlüsse auf die Trägerinnen frei. Es finden sich Lippenstifte, Tabletten, Zigaretten, Parfums, Bonbons, Brillen und alles mögliche… Diese Arbeiten sprechen, wie so manche andere auch, für ein großes Quantum Humor, mit dem die Künstlerin ausgestattet ist.

Die Kraft der Geste

Bemerkungen zu Material und Ausdruck der Skulpturen von Christiane Erdmann

 

von Isa Bickmann 2004

 

Sich mit dem Werkstoff Holz zu beschäftigen bedeutet, mit der Natur, genauer gesagt, mit den gewachsenen Strukturen, aber auch gegen die Natur, gegen die Veränderungsprozesse des organischen Materials zu arbeiten, welche durch klimatische Einwirkungen und die natürliche Alterung bedingt werden. Holz ist ein sensibler Stoff, der genaue Kenntnisse verlangt. Es ist je nach Sorte ein weiches bis sehr hartes Material, das geradezu nach Bearbeitung zu verlangen scheint und grob behauen, zart geschnitzt, roh belassen, glatt poliert und auch farbig gefasst werden kann. Holz ist Leben, bei der Bearbeitung einen Wohlgeruch verbreitend, teilt es seine eigene Geschichte mit, Alter, Krankheiten, Schädlingsbefall, wir erfahren vieles über seine Herkunft.

 

Das 20. Jahrhundert war die Epoche der neuen Materialien in der Bildhauerei: Glas, Blech, Bleistreifen, rostfreier Stahl, Aluminium, Kunststoff und vieles mehr. Das Material stand nun für sich, um die Dinglichkeit des Objektes aufzuzeigen oder um hinter der Aussage und Form zurückzutreten. Holz war indes nicht mehr so beliebt wie in den Jahrhunderten zuvor, wo es bevorzugt im sakralen Bereich Verwendung fand. Seine stets charaktervolle Textur und einzigartige Ausformung passte nun nicht mehr zur jeweils aktuellen künstlerischen Aussage. Den Künstlern der Minimal Art der sechziger Jahre beispielsweise stand der Sinn nicht mehr nach der Handarbeit, sie überließen die Ausführung ihrer Werke Handwerkern bzw. der industriellen Fertigung. Auch taugt unbehandeltes Holz nicht für den Außenraum und die Bauplastik, ihnen waren der Stein und der Bronzeguss vorbehalten. Große Künstler des beginnenden 20. Jahrhunderts arbeiteten neben Stein auch in Holz, doch letzteres wurde nie bevorzugtes Material. Ernst Ludwig Kirchner und Karl Schmidt-Rottluff fertigten Holzskulpturen unter dem Eindruck der so genannten »primitiven« Schnitzkunst aus Afrika, dem Südpazifik und den Werken ihrer Vorläufer Émile Bernard und Paul Gauguin, welche Holz noch als Material für ihre Skulpturen und Reliefs favorisiert hatten. Der ebenfalls durch die außereuropäische Kunst inspirierte Pablo Picasso nutzte Holz eher selten als Material für seine Skulpturen. Henry Moore schlug zwar bis 1945 vornehmlich in Stein und Holz, danach goss er seine Formen hauptsächlich in Bronze. Welchen Stellenwert das Material Holz zu Beginn des Jahrhunderts hatte, fasste der expressionistische Bildhauer Ernst Barlach mit folgender Charakterisierung des emotionalen Gehaltes des Holzes (und des Steins) zusammen: »Das Gebirge, der Baum haben die Gefühlswelten in sich, die herausgearbeitet werden können. Die absolute Bestimmtheit, die Umgrenztheit des Gefühls sind ihr Reich, das in Ruhe und Majestät Himmelstürmerische, der Trotz der Titanen, die Schroffheit, Weltabgeschiedenheit des innigst vertieften Weltgefühls.« (1), gleichwohl bezeichnet er die Ausführung in Holz als »langsam und mühevoll« (2).

 

Zum Ende des vergangenen Jahrhunderts, etwa seit den achtziger Jahren ist wieder eine verstärkte Hinwendung zu diesem Werkstoff festzustellen. Sei es nun, weil Ideen und Inhalte in der Luft lagen, wie das viel besprochene Waldsterben und die damit einhergehende neue Sensibilität für die Vielfalt der Natur und ihre Gefährdung durch den Menschen oder die gleichzeitig stattfindende neue Expressivität in der Malerei (»Die Neuen Wilden«), die dem Holz eigene haptische Qualität und Einzigartigkeit in der Textur traten erneut in den künstlerischen Fokus.

 

Holzbildhauerei erfordert Kraft und Flexibilität dem Material gegenüber. Die Kettensäge wird für viele Bildhauer ein wichtiges Werkzeug, das nicht nur für das Herausschälen der groben Form, sondern auch für verfeinernde Arbeiten am Objekt genutzt wird. Auch Christiane Erdmann setzt die Kettensäge ein. So kann sie mit Kraft und Schnelligkeit in den Holzblock schneiden und auch feine Arbeiten vornehmen, die Formen »streicheln«, wie sie es nennt.

 

Seit Anfang 1994 gebraucht die Künstlerin Holz als Material ihrer Skulpturen. Bei den glatten Figuren geht sie schon mal der Maserung oder auffälligen Strukturen des Holzes nach, ansonsten bleibt es für sie reines Werkmaterial. Sie lässt sich nicht von den Eigenschaften eines Holzblocks inspirieren, sondern erarbeitet eine Form mit Vorzeichnungen, die dann erst in die Dreidimensionalität umgesetzt werden.

 

Die menschliche Gestalt, hier vor allem der weibliche Körper sind ihre Themen. Auch treffen wir auf Katzen, auf Fische und Schnecken, die in ganzen Rudeln auftreten. Besonders die Katzenskulpturen erfordern eine genaue Beobachtung der Natur. Sie buckeln, strecken und kratzen sich, schleichen sich an. Ihre grob behandelten, - deutlich sind die Spuren der Kettensäge sichtbar -, und farbig bemalten Oberflächen suggerieren die Formen und Farben ihres Fells und geben den Körpern Lebendigkeit. Das Besondere der Skulpturen Erdmanns ist es, dass keine Figur der anderen gleicht. Der »Tisch für 49 Personen«, von 2000, aus Kastanien- und Kirschholz gefertigt, zeigt mehrere Reihen von Personen, die in Größe, Stand und Ausarbeitung variieren. So ist eine der Personen derart in die Tischplatte eingefügt, dass sie sich nach vorne beugt und fast die Gestalt in der Reihe vor ihr berührt. Wenn man den Tisch von der Seite betrachtet, sieht es aus, als flüstere sie ihrem Vordermann etwas ins Ohr. Steht man frontal vor dem Tisch, dann hat man den Eindruck einer Ansammlung verschiedener Personen, die auf den Eintritt eines Ereignisses warten. Es geht hier nicht um die Anonymität einer Menge, sondern um die Individualität in der Wiederholung. Erdmanns Formensprache ist zu Beginn ihrer holzbildhauerischen Tätigkeit offensichtlich beeinflusst von der griechischen Archaik, dann auch von Giacometti, doch wo Giacometti das Knorpelige der Bronzeoberfläche belässt und seine Werke auf die Mittelachse ausrichtet, setzt die Künstlerin bei den »Stehenden« die schlanke Form mit eher beruhigter Oberfläche und in Mehransichtigkeit um.

 

Sehr reduziert in der Form und mit glatt geschliffener Oberfläche zeigen sich die »Torsi«. Mit schmalen Hüften und breiten Becken wirken sie wie Fruchtbarkeitsidole. Durch einen Sockel werden sie auf die Sichthöhe des Betrachters gehoben. Scheinbar im klassischen Kontrapost stehend, führen sie mittels ihrer organisch geformten Konturen und des schräg gelagerten Beckens Bewegungen in den Raum aus. Es sind geschlossene, in sich dynamische, abstrahierte Formen, die gleichsam beweglich wie standfest erscheinen.

 

Erdmanns auf übergroßen Säulen stehenden Figuren, die sie z.B. während des Projektes in Basel »Werkstatt im Exil« im Jahr 2002 ausführte, zeugen von ihrem Interesse an der Bewegung des Körpers. Plinthen aus Metallplatten geben den hohen Sockeln Stabilität. Der Betrachter schaut hinauf zu kleinen Figuren, die sich in scheinbar unendlicher Vielfalt bücken, beugen, strecken, stehen, sitzen.

 

Nie ist es der anatomisch ideal geformte Körper, der die Künstlerin interessiert. So auch nicht bei ihren »Mädchen«, wie sie die neuere Werkgruppe der Torsi und Ganzfiguren nennt. Weibliche Gesten und Körperhaltungen lassen sich in ungleich größerer Varianz darstellen und Erdmanns Vorliebe für die Darstellung des weiblichen Körpers hat also nichts mit feministischer Anschauung zu tun. Auf kleinen Sockeln, die deutlich die Herkunft des Werkstücks aus einem Baumstamm aufzeigen, stehen nahezu lebendgroße Frauengestalten. Ihre Oberfläche ist rau belassen, sie sind farbig gefasst, was die Natürlichkeit ihrer Haltungen und Gebärden unterstreicht. Wenn man weiß, dass die Künstlerin die Gestalt zuerst auf dem Papier skizziert, begreift man die beeindruckende Spontaneität des Ausdrucks ihrer Skulpturen, der sich auch in der Titelgebung zeigt. Pina, die »ihren Schuh gar nicht sucht«, steht mit über dem linken Standbein, dessen Fuß in einem Schuh steckt, übergeschlagenem rechten Bein mit nacktem Fuß und verschränktem linken Arm, nach links blickend, und tut so, als interessiere sie sich überhaupt nicht für ihren fehlenden Schuh. Gelassen lächelnd posiert sie. Christiane Erdmanns genaue Beobachtungsgabe offenbart sich auch in den Figuren, die Frauen im Gespräch zeigen: Die Halbfigur »Es gibt nichts Neues« hebt die Arme entspannt über den Kopf, und lehnt sich zurück, sich ihrem Gegenüber auch physisch öffnend. Die wiederum auf einem kleinen Sockel stehende Ganzfigur »Wie geht es uns denn so, Frau Grün?« zeigt sich mit eingezogenen Schultern und unter der Brust verschränkten Armen als Fragende, die von ihrem Gegenüber gar keine Antwort haben möchte oder vielleicht nur fragt, um ihr eigenes Leid mitteilen zu können. Oftmals fühlen sich Betrachter an die Werke Stephan Balkenhols erinnert. Doch die Gemeinsamkeiten beider Künstler liegen allein im Handwerklichen. Beide schlagen direkt aus dem Holzblock, bei beiden ist das Material nicht formgebend, sondern die Form existiert bereits vor dem Bearbeiten des Blocks. Beide Künstler lassen die Spuren der Bearbeitung sichtbar stehen und fassen ihre Werke farbig. Bei genauerer Betrachtung werden allerdings große Unterschiede deutlich: Christiane Erdmann geht es nicht um die vielschichtigen Anspielungen wie Balkenhol, dessen zentrales Thema, der öffentliche, anonyme Mensch ist, sondern um die Darstellung des individuellen menschlichen Verhaltens. Balkenhols Gestalten wirken abwesend und verschlossen. Wie ungleich lebendiger sind Christiane Erdmanns Figuren. Sie sind durch die verschiedenartige Gestik als Einzelwesen zu erkennen, tragen Namen wie Cora, Adele, Jenny und Lucy, und zeichnen sich auch durch Kleidung und Bemalung als Individuen aus. All sie sind Momentaufnahmen junger Frauen, freundlich, sympathisch und vertraut, stehen sie doch auf einer Höhe mit ihren Betrachtern. Man geht ganz nah heran, umrundet sie, denn nie sind diese Skulpturen auf Frontalität ausgerichtet; man möchte sie am liebsten berühren, weil sie so real erscheinen, und hat doch nicht das beunruhigende Gefühl der Wirklichkeit gegenüberzustehen, in die Intimsphäre einer Person einzudringen, wie es einem beispielsweise bei naher Betrachtung der Plastiken des Hyperrealisten Duane Hanson beschleicht. Christiane Erdmanns »Mädchen« posieren, zieren sich, flirten mit dem Betrachter, singen, schweigen, denken nach und spielen alle (Eigen-) Arten des Weiblichseins aus.

 

1 Ernst Barlach. Notiz aus dem »Taschenbuch von 1906«, wiederabgedruckt in: Ernst Barlach. Das plastische Werk. Bearb. von Friedrich Schult. Hamburg 1960, S. 23f.

2 Brief an Alfred Flechtheim vom 14.10.1930, abgedruckt in: Schult, a.a.O, S.26.

 

 

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