SCHÖNE AUSSICHTEN.
Landschaften von Manfred Maria Rubrecht

 

von Cornelia König-Becker M.A.

Juni 2024

 

MMR steht mit seinen Gemälden in einer langen Tradition von Landschaftsmalerei und der Sicht des Menschen auf die Natur. Motive dieser Malerei spiegeln immer auch menschliche Gefühle, Sehnsüchte und die Themen der Zeit, sie reflektieren die Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt.

In dieser Hinsicht sind die Werke von MMR hochaktuell. Angesichts der globalen Klimakrise und der gravierenden Umweltschäden bekommen die Bilder mit ihren Irritationen und Denkanstößen eine überzeugende Dringlichkeit.

Der Philosoph Byung-Chul Han schreibt in seinem Buch „Lob der Erde“ mit berührender Traurigkeit über die Ausbeutung und Zerstörung: „Von der Erde geht ein Imperativ aus, sie zu schonen, das heißt sie schön zu behandeln. Das Schonen ist etymologisch mit dem Schönen verwandt. Das Schöne verpflichtet, ja gebietet uns, es zu schonen… Es ist eine dringende Aufgabe, eine Verpflichtung der Menschheit, die Erde zu schonen, denn sie ist schön, ja herrlich.“ Aber: „Wir haben jede Ehrfurcht vor der Erde verloren. Wir sehen und hören sie nicht mehr.“

Ein zeitgenössischer Künstler, wenn er sich von Traditionen inspirieren lässt, muss aktiv seine Malerei erfinden und neue Antworten auf die Frage entwickeln, wie die Phänomene der Gegenwart, sofern sie ihn beschäftigen, für ihn darstellbar sind.

Auf den Gemälden von MMR sehen wir, wie man es aus der Malerei der Romantiker kennt, spektakuläre Bildausschnitte mit weitgespannten Horizontlinien, Landschaften, die sich tief in den Bildraum hinein bis zum Himmel ausdehnen, selten sind es Landschaften, die zu Rückzug und Kontemplation einladen.
MMR zeigt eine Natur, die vielleicht einmal erwandert, durchstreift, gesehen und beschrieben wurde, jetzt aber ausgebreitet und menschenleer vor dem Betrachter liegt. Landstriche, die nach ihrer Vereinnahmung, Vermessung und Ausbeutung nun gefährdet sind und drohen, aus dem Gleichgewicht zu geraten. Durch diese Landschaften wird gerast oder erschrocken abgebremst; der Asphalt kocht, Müllberge türmen sich in den Himmel hinein.

Die Bilder von MMR sind künstlerische Antworten auf unsere Zeit, in der wir uns fragen müssen, wie viel Mensch die Natur noch verträgt und mit welchen zornigen Antworten der Erde wir zu rechnen haben.

MMR positioniert sich als sensibler Künstler und als kritischer Zeitgenosse. Er malt nicht nur was er vor sich sieht, sondern auch das, was er angesichts seiner Erfahrungen in sich sieht, was er fühlt und denkt.

Aber der Künstler ist weit davon entfernt, uns seine Position aufzuzwingen, uns zu belehren. Die Bilder und Motive legen nahe, sich eigene Gedanken zu machen. Befürchtungen, Ängste oder Bedrohungen werden eher angedeutet, etwa durch Linien, geometrische Elemente wie Streifen, keilförmige Flächen. Maßbänder zerteilen und unterbrechen Bildausschnitte als etwas Fremdes, das sich in die Landschaften hineindrängt oder sie abriegelt.

Im Gegensatz zu den harten Grenzen der geometrischen Elemente verleiht der Maler den Bildelementen, die gewachsene Natur darstellen, eine luftige Unschärfe, die eine transzendierende Stimmung erzeugt. Daraus ergeben sich Spielräume für Assoziationen und die eigene Phantasie.

Im Gemälde „Highways“ schießt ein kalter, weißer Keil gnadenlos hinauf zum Gipfel des Berges, zerbricht das große, alte Gestein in zwei unverbundene Teile.

Was wir nicht sehen, sind Akteure – kein Mensch weit und breit.
Das, was die Menschen nach ihren Vorstellungen und Bedürfnissen der Landschaft aufgezwungen haben, wird sichtbar als Spur. Ob diese Spuren für Fortschritt oder Verwüstung stehen, bleibt offen.

In dem Gemälde „Schnellstraße“ sehen wir am unteren Bildrand eine schmale, unscheinbare Linie, die den Bereich zwischen Landschaft und dem vorbeirasenden Fahrzeug markiert. Diese Trennung zwischen Fahrbahn und Landschaft verbreitert sich im Gemälde „Asphalt“ zu einer grau-weißen künstlichen Schneise, die hinein in den Bildraum stößt, hin zur Horizontlinie und darüber hinaus ins Unendliche.

In einem weiteren Bild wird diese Schneise, deren Schroffheit sich nicht mit der gewachsenen Umgebung verbindet, durch eine gelbe geometrische Fläche erweitert, die für die Künstlichkeit eines Rapsfeldes stehen könnte, wahrgenommen im schnellen Vorbeifahren.

Im Werk von MMR gibt es ein Gemälde, mit dem er sich vor dem Maler Caspar David Friedrich verbeugt und sich in der Tradition der deutschen Romantik verortet – auch dort war das Leitmotiv die Verbindung und die Entzweiung von Mensch und Natur.

In Caspar David Friedrichs berühmtem Gemälde „Kreidefelsen auf Rügen“ wenden sich im Vordergrund Besucher und Betrachter auf verschiedene Weise der Landschaft zu, vielleicht sind es Städter jener Epoche, die aufgebrochen sind, um in der Natur und im Anblick des Meeres zu sich selbst zu finden.

In dem Gemälde von MMR, das sich auf diese Szene bezieht, sind die Menschen verschwunden. Auch hier spannt sich eine weiträumige Horizontlinie hinein in den Bildraum, aber das betrachtende Individuum, das sich in die Geheimnisse der Natur versenkt, dort eine Antwort sucht, hat das Bild verlassen.

Wir sind die Betrachter der Szene und müssen uns die Frage stellen, was mit dem Verhältnis von Mensch und Natur geschehen ist, das in dem Gemälde vor uns in dieser Ambivalenz thematisiert wird. Dort, wo im Bild der Wanderer stehen könnte, erhebt sich ein beklemmender Anblick von Zerstörung. Wie hilflose Wesen recken verkohlte Bäume die Reste ihrer ehemals hohen Gestalt einer weiten, schweigenden blauen Fläche entgegen. Das Wasser ist still und tief, zarter Dunst steigt in den rosigen Horizont und verhüllt die untergehende Sonne.

MMR nimmt sich einerseits Landschaftsausschnitte vor, die unberührt erscheinen, andererseits solche, die Gegenstand der Logik und des Zugriffes technisierter Aktivitäten waren bzw. sind. In der Mehrzahl der Bilder wird uns das prekäre Gleichgewicht dieses Zusammenspiels von Landschaft, Natur und den Eingriffen der Menschen vor Augen geführt.

Erfahrungen einer intakten Natur, unangreifbar und erhaben, sind in unserer Gegenwart, in der wir mit einer dramatischen klimatischen und ökologischen Krise konfrontiert sind und in der menschliches Handeln das Erdsystem tiefgreifend verändert hat, besonders verlockend.

In seinem Gemälde „Stilles Tal“ schauen wir hinein in einen friedlichen Landstrich, ein saftiges grünes Tal. Doch obwohl Bildaufbau und leuchtende Sommerfarben den Blick in die Szene hineinführen, signalisiert uns ein farbiges Absperrband, das als digitale horizontale Linie das Bild durchläuft, dass uns hier der Zugang verwehrt ist.

Das Gemälde „Sehnsucht“ präsentiert sich uns zunächst ähnlich verlockend und unzugänglich zugleich. Das Bergpanorama dehnt sich mit markanten Gipfeln, umhüllt von der Aura kalter Luft und wallender Nebelwolken über einer spiegelglatten Wasserfläche. Die horizontale Bruchkante zwischen Gestein und See ist rabenschwarz. Darunter spiegelt sich das Gebirge in der völlig ruhigen Oberfläche des eiskalten Wassers. Das in Blau getauchte Motiv, die Assoziation von Ferne und Transzendenz, mögen Sehnsüchte ansprechen, zugleich verspricht das Bild jedoch keinen erlösenden Zugang. Die Natur ist hier keine Freundin, in der man – frei nach Eichendorff – seine Flügel ausspannen möchte.

Die Gemälde von MMR erzählen von den Wundern der Natur und ihrer Zerbrechlichkeit, der Gefahr von Zerstörung, jedoch nicht mit dem ideologischen Zeigefinger, sondern mit der Empathie des Malers. Er legt uns Optionen nahe, in seinen Bildern wird Aufruhr und Beruhigung sichtbar, Nachdenklichkeit, Empörung Schrecken und Schönheit.
 
Zu den Gemälden von stolzen Bergen und Gebirgszügen gesellt sich das Bild eines kolossalen „Müllbergs“. Wir können nur ahnen, was dort alles gelandet ist. Das Gemälde gibt Einzelheit nicht preis, aber wir wissen zum Beispiel von den gigantischen Mengen an Plastikmüll. Geschätzt 350 Millionen Tonnen fallen (laut OECD) jedes Jahr an und der größte Teil endet auf Deponien.

Im bizarren Gegensatz dazu erstreckt sich auf dem Gemälde „Insektenfrei“, gesäumt von dicht bewachsenen buschigen Rändern, ein scheinbar von allem Lebendigen gereinigtes Straßenband – unwirklich sauber und leuchtend wie ein weißer Fluss.
„Glühender Asphalt“! Hier bringt das gnadenlos feurige Orangerot, im Kontrast zum leuchtenden Blau, das Bild zum Vibrieren, Absperrbänder versperren den Weg. Die Ranken und Äste des Gemäldes „Urwald“ wuchern in den Bildraum hinein, greifen das hineinflutende Licht auf und sprechen unsere Sehnsucht nach einem noch nicht eroberten Paradies an.

In einer Abhandlung von Friedrich Schiller kann man lesen: „Solange wir bloße Naturkinder waren, waren wir glücklich und vollkommen; wir sind frei geworden und haben beides verloren. Daraus entspringt eine doppelte und sehr ungleiche Sehnsucht nach der Natur; eine Sehnsucht nach ihrer Glückseligkeit, eine Sehnsucht nach ihrer Vollkommenheit.“

MMR hat etliche Gletscher und Alpenansichten gemalt – es sind meist in weite Ferne gerückte Solitäre, keine Einladungen für Kletterer und Bezwinger, eher Sinnbilder des ewig Seienden. Der Philosoph Byung-Chul Han schreibt: „Die Erde ist kein totes, lebloses, stummes Wesen, sondern ein beredtes Lebewesen, ein lebendiger Organismus. Selbst Stein lebt. Cezanne, der besessen war von der Montagne Sainte-Victoire, wusste vom Geheimnis und der besonderen Lebendigkeit und Kraft der Felsen.“ Wie das steinerne Gebirge folgt das Meer seinen eigenen Gesetzen.

Auf den Gemälden „Welle“ und „Unruhiges Meer“ spiegeln sich der blaue Himmel und das Licht der Sonne auf dem Wasser, unter der Oberfläche des Meeres sind die Tiefen unergründlich. Der römische Philosoph Lukrez mahnt, „die List und Tücke des treulosen Meeres zu meiden / Und ihm nie zu vertrauen, auch wenn die spiegelnde Fläche / Noch so verräterisch lockt und die lächelnde Stille des Meeres“.

Die „Welle“ scheint unseren Blick aufzusaugen mit ihrem unendlichen Heranrauschen, sich Formen und Vergehen. Fesselnd ist der Anblick des Meeres selbst dort, wo es machtvoll in Bewegung gerät und unter der Oberfläche sich Bedrohliches unheilvoll zu sammeln scheint. Die faszinierende Verbindung von Schrecken und Bewunderung löst das zwiespältige Gefühl des Erhabenen aus. Zum einen sehen wir unsere Ohnmacht gegenüber der Natur als kleine physische Wesen, die wir sind, zum anderen aber erweckt die unfassbare Größe des Meeres in uns die Idee der Unendlichkeit.

In den meisten Gemälden mildert eine leichte, man könnte auch sagen respektvolle Unschärfe, mit der der Künstler seine Bildgegenstände umhüllt, das Zwiespältige, das Ungewisse.

Die Gemälde von MMR sind Bilder eines Zeitgenossen, der die Phänomene des Lebens reflektiert und sie in seinen Facetten malt: erschrocken, traurig, nachdenklich, liebevoll – niemals emotionslos. Immer sind die Gemälde sorgfältig komponiert und meisterhaft gemalt. Es sind keine „Abbildungen“, sondern Umwandlungen von Eindrücken und Gedanken in Malerei, das Schimmern und Leuchten, das Vibrieren von Licht und Schatten schaffen eine eigene, persönliche ästhetische Wahrheit. Man darf sie auch als Boten eines kreativen Menschen sehen, die zur Versöhnung von Mensch und Natur auffordern.

Bei aller Ernsthaftigkeit der Thematik, die uns zum Beispiel auch durch den strengen Bildaufbau nahegelegt wird, strahlen die meisten Werke eine fast heitere Leichtigkeit aus. Die „Wildbienen“ tummeln sich auf einem Gemälde, das wir erfreut und erleichtert betrachten, man hört gewissermaßen ihr geschäftiges Summen – arbeiten sie miteinander an einem gemeinsamen Projekt oder führen sie gerade einen tödlichen Kampf gegeneinander? Ist die Landschaft auf dem Gemälde „Rapsfeld“ eine von der Frühlingssonne beschienene Idylle oder breitet sich hier die Ödnis eines ausgelaugten Ackers vor unseren Augen aus?

Der Künstler urteilt mit seiner Kunst nicht, er eröffnet uns Perspektiven, Möglichkeiten zu sehen, Denkräume. Und das durchaus mit den Mitteln der Schönheit von Malerei und der Schönheit von Natur, deren Teil wir sind.


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Zitate:
Byung-Chul Han, Lob der Erde, 2018
Caspar David Friedrich, Kunst für eine neue Zeit, 2024
Mythos Meer, Rotary Magazin 6/22
Kein Müll für niemand, Rotary Magazin 6/24

 

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